
Per- und polyfluorierte Verbindungen: Einträge vermeiden und die Umwelt schützen | Foto: ©luchschenF #1237956120 – stock.adobe.com
Sie sitzen in Regenjacken, stecken in Pappbechern und beschichten Pfannen. Sie haben unser Leben praktischer gemacht – und unsere Umwelt vergiftet. Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) werden ausschließlich vom Menschen im Umlauf gebracht, und sie gehören zu den langlebigsten Chemikalien überhaupt.
Unsichtbar, allgegenwärtig und gefährlich
Ihre chemischen Eigenschaften sind beeindruckend: wasser-, fett- und schmutzabweisend, gleichzeitig extrem hitzebeständig. Aus diesen Gründen werden perfluorierte Verbindungen bevorzugt in der Industrie und Konsumgüterherstellung genutzt. Doch was auf den ersten Blick wie ein technischer Segen wirkt, hat sich längst als massives Umwelt- und Gesundheitsproblem entpuppt.
Das Problem: PFAS zerfallen nicht. Sie werden im Boden, im Wasser und im menschlichen Körper nachgewiesen.
Wissenschaftler finden sie inzwischen weltweit: in der Muttermilch, im Blut, im Eis der Arktis. Und obwohl die Risiken seit Jahren bekannt sind, gelingt es weder Behörden noch Industrie, die Verbreitung zu stoppen.

Ihre chemischen Eigenschaften sind beeindruckend: wasser-, fett- und schmutzabweisend, gleichzeitig extrem hitzebeständig | Foto: ©lucky pics #1220867593 – stock.adobe.com
Deutschland – ein Land voller Altlasten
Rastatt, Baden-Württemberg, 2013: Landwirte erfahren, dass ihr Boden mit PFAS verseucht ist. Der Schaden stammt von Löschschaum, den Feuerwehren jahrzehntelang auf einem nahegelegenen Übungsgelände eingesetzt hatten. Die Chemikalien sickerten ins Erdreich und von dort ins Grundwasser. Die Behörden informieren spät. Die Bevölkerung ist verunsichert und viele Menschen fühlen sich im Stich gelassen.
Der Fall ist kein Einzelfall. In Nordrhein-Westfalen wurden bei einer Untersuchung des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz PFAS an mehr als 1.500 Standorten nachgewiesen – in Böden, im Grundwasser, in Flüssen. Auch das Trinkwasser bleibt nicht verschont. Die Sanierung ist teuer, langwierig, teils technisch kaum machbar. Dabei warnten Umweltverbände schon vor Jahren. Die Politik aber reagierte nur zögerlich. Und die Industrie verweist auf technische Notwendigkeiten, hält sich mit freiwilligen Maßnahmen bedeckt. Verantwortung sieht anders aus.

Giftiger Feuerlöschschaum mit PFAS | Foto: ©Peter Togel #894422746 – stock.adobe.com
Das Problem: Eine Substanzklasse mit über 10.000 Vertretern
Perfluorierte Verbindungen ist ein Sammelbegriff für eine ganze Stoffgruppe. Über 10.000 Verbindungen sind bekannt – viele davon mit völlig unterschiedlichen Eigenschaften. Einige, wie PFOA oder PFOS, sind inzwischen in der EU verboten. Andere gelangen noch immer völlig legal in Umlauf.
Die Regulierung hinkt hinterher. Jede einzelne Substanz müsste geprüft, bewertet, zugelassen oder verboten werden. Ein aufwendiger Prozess, den Hersteller gut kennen – und auszunutzen wissen. Wer ein Verbot für Stoff A befürchten muss, bringt Stoff B auf den Markt. Oft mit ähnlicher Wirkung und vergleichbarer Persistenz.
Die Europäische Chemikalienagentur ECHA arbeitet inzwischen an einem umfassenden PFAS-Verbot.
Doch der politische Widerstand ist groß, der Lobbydruck erheblich. Vor allem aus der Chemie- und Luftfahrtindustrie kommt Gegenwind. Die Argumentation ist stets dieselbe: PFAS seien in vielen Bereichen unverzichtbar. Ganz so, als wären Gesundheit und Umweltschutz optional.
Industrie in der Defensive
Dabei gibt es längst Alternativen – zumindest in vielen Konsumprodukten. Outdoor-Hersteller bieten mittlerweile Jacken ohne PFAS-Imprägnierung an. In der Gastronomie gibt es fettabweisende Verpackungen aus Naturmaterialien. Auch für Pfannen existieren längst beschichtungsfreie Varianten.
Dennoch setzen viele Unternehmen weiter auf fluorhaltige Stoffe. Warum? Weil sie billiger sind. Weil sie funktionieren. Weil es keine verbindlichen Vorgaben gibt, sie zu vermeiden. Der Markt regelt hier wenig. Die Eigenverantwortung der Konzerne endet oft dort, wo es teuer wird. Beispiel Kosmetikindustrie: Noch immer enthalten zahlreiche Lippenstifte, Grundierungen und Cremes PFAS – ohne klare Kennzeichnung. Für Konsumentinnen und Konsumenten ist das kaum erkennbar. Wer versucht, bewusst zu kaufen, scheitert an mangelnder Transparenz. Die Politik lässt Industrie und Handel gewähren. Der Preis: weitere Einträge in die Umwelt – und eine unnötige Gefährdung der Bevölkerung.

Industrie in der Defensive | Foto: ©Sepia100 #691060438 – stock.adobe.com
Die unterschätzte Gefahr für das Trinkwasser
Besonders kritisch ist die Lage beim Trinkwasser, denn PFAS lassen sich nur mit großem Aufwand herausfiltern. Aktivkohlefilter, Ionentauscher, Umkehrosmose – alles Verfahren, die aufwendig, teuer und energieintensiv sind. Zahlreiche Wasserwerke in Deutschland sind darauf nicht vorbereitet. Und was einmal ins Grundwasser gelangt ist, bleibt dort über Jahrzehnte.
Das Problem ist dabei nicht nur technischer Natur, sondern auch juristischer. Wer haftet für die Reinigung? Wer kommt für die Schäden auf? In vielen Fällen sind es am Ende die Kommunen – und damit die Steuerzahler –, die die Folgen tragen. Die Verursacher hingegen bleiben oft anonym oder ungeschoren.
Experten fordern deshalb klare gesetzliche Grenzwerte und eine strengere Haftungspflicht für Hersteller. Doch bislang passiert zu wenig. Die Bundesregierung verweist auf europäische Initiativen, auf laufende Prüfungen, auf künftige Maßnahmen. Das ist zu wenig. Es braucht jetzt verbindliche Regeln, nicht irgendwann.
Das toxische Erbe
PFAS sind ein Lehrstück dafür, wie der Fortschrittsglaube der Nachkriegszeit in ökologische Katastrophen münden kann. Jahrzehntelang wurden die Substanzen produziert, verkauft, eingesetzt – ohne ernsthaft darüber nachzudenken, wohin sie verschwinden. Nun, da klar ist, sie verschwinden nicht, bleibt der Gesellschaft nur, mit den Folgen umzugehen.
Und die sind enorm. In Deutschland wird der Rückbau von PFAS-kontaminierten Böden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Die gesundheitlichen Kosten lassen sich kaum beziffern. Studien bringen PFAS mit einer ganzen Reihe von Erkrankungen in Verbindung – von Krebs bis zu hormonellen Störungen. Besonders gefährdet sind Kinder und Schwangere.
Wer heute noch glaubt, man könne sich der Problematik entziehen, irrt. Perfluorierte Verbindungen betreffen alle.
Die Chemikalien reisen durch Luft, durch Wasser, durch Nahrung. Selbst wer sich bewusst verhält, kann sich kaum schützen. Die Lösung liegt also nicht im individuellen Verzicht, sondern in einem politischen Kurswechsel.
Umdenken ist erforderlich
Es braucht ein umfassendes Umdenken. Statt weiterhin auf Einzelverbote zu setzen, sollten ganze Stoffgruppen verboten werden – es sei denn, ihre Unbedenklichkeit ist zweifelsfrei belegt. Das Vorsorgeprinzip muss zur Leitlinie der Chemikalienpolitik werden, nicht zur Fußnote.
Gleichzeitig muss die Industrie in die Pflicht genommen werden: Wer PFAS herstellt oder einsetzt, soll für deren Rückholung und Entsorgung zahlen. Nur so entsteht ein echter Anreiz, auf Alternativen umzusteigen. Und auch die Verbraucherinnen und Verbraucher verdienen mehr Transparenz. Eine klare Kennzeichnungspflicht wäre ein erster Schritt.
Langfristig braucht es eine neue Chemiepolitik – auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Eine Politik, die nicht mehr wartet, bis Schäden entstanden sind, sondern Risiken im Vorfeld vermeidet. Perfluorierte Verbindungen zeigen, wie gefährlich es ist, wenn technische Machbarkeit über ökologischer Vernunft steht.