
Notwendigkeit und Ausgestaltungsmöglichkeiten eines Kapazitätsmechanismus für Deutschland | Foto: ©Aquarius #1319627317 – stock.adobe.com
Das Umweltbundesamt hat bereits 2012 eine Studie über die Ausgestaltung von Kapazitätsmechanismen durchgeführt und die politisch relevanten Vorschläge bewertet. Es geht um die Umgestaltung des Strommarktes und den Ausstieg aus der Kernenergie. Um das zu erreichen, müssen erneuerbare Energien integriert werden. Gleichzeitig geht es darum, Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Für den Erhalt von Bestandskraftwerken und die Investition in neue Kraftwerke müssen Anreize geschaffen werden. Im Auftrag der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber wurde von Consentec und dem Ecologic Institut 2024 eine Studie zur Ausarbeitung eines Kapazitätsmechanismus für den deutschen Strommarkt veröffentlicht, die von Mai bis Dezember 2022 erstellt wurde.
Was ist ein Kapazitätsmechanismus?
Kapazitätsmechanismen dienen zur Erhöhung der Investitionsanreize im Elektrizitätssektor. Dabei ist zu klären, ob der Energy-Only-Markt funktioniert oder ob strategische Reserven und Versorgungssicherheitsverträge erforderlich sind. Bei Energy-Only-Märkten wird nur die gelieferte Elektrizität vergütet.
Das ist oftmals mit der Befürchtung verbunden, dass die Investitionsanreize für den Bau neuer Kraftwerke nicht ausreichen.
Verschiedene Kapazitätsmechanismen werden diskutiert. Bei allen diesen Mechanismen geht es darum, die installierte und die bereitgehaltene Kapazität zusätzlich zu vergüten. Solche Mechanismen können die strategische Reserve, der Kapazitätsmarkt, Kapazitätszahlungen oder Kapazitätsoptionen sein. Die Versorgungssicherheit wird von der Einführung von Kapazitätsmechanismen positiv beeinflusst. Allerdings müssen falsche Anreize, Regulierungsrisiken und Marktverzerrungen berücksichtigt werden.

Kapazitätsmechanismen dienen zur Erhöhung der Investitionsanreize im Elektrizitätssektor | Foto: ©Gina Sanders #106665645 – stock.adobe.com
Warum ist ein Kapazitätsmechanismus notwendig?
In ihrer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes von 2012 nahmen das Büro für Energiewirtschaft und technische Planung (BET), Consentec und das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) quantitative Modellrechnungen an, um den Handlungsbedarf für einen Kapazitätsmechanismus zu begründen. Um die notwendigen Kraftwerksinvestitionen oder den Betrieb von Bestandskraftwerken zu finanzieren und nationale Versorgungssicherheit zu gewährleisten, reichen die errechneten Deckungsbeiträge nicht aus. Diskussionsbedarf besteht in methodischer Hinsicht. Für die Strommarktmodelle gilt ein Kapazitätsziel.
Kapazitäten werden auf der Basis kurzfristiger Grenzkostenpreise bewertet. In den Modellen stehen keine Optionen wie Lastmanagement oder Preisaufschläge zur Verfügung, mit denen eine Preissetzung oberhalb der variablen Kosten des zuletzt in Betrieb genommenen Kraftwerks möglich ist. Bei kurzfristigen Grenzkostenpreisen tritt eine Deckungslücke auf. Um das Problem zu lösen, ist bei Knappheiten ein Peak-Load-Pricing mit Preisen über den kurzfristigen Grenzkosten möglich. Dabei können Preise durch das Lastmanagement gesetzt werden.
Die zukünftige Funktionsfähigkeit des Energy-Only-Marktes steht im Mittelpunkt.
Dabei wird diskutiert, ob ein Marktversagen zu erwarten ist. Um Versorgungssicherheit für den Strommarkt zu gewährleisten, müssen sich Angebot und Nachfrage über Preissignale ausgleichen. Bislang gibt es keine empirischen Belege, dass der Energy-Only-Markt mittelfristig versagen könnte. Langfristig ist das jedoch nicht vollständig auszuschließen.
Für die 2024 veröffentlichte Studie von Consentec und dem Ecologic Institut liegt ein Endbericht vor, der sich mit der Entwicklung eines Kapazitätsmechanismus für den deutschen Strommarkt beschäftigt. Im Ergebnis der Studie wird die Notwendigkeit eines Kapazitätsmechanismus im Hinblick auf die steigenden Anteile erneuerbarer Energien und den Rückgang konventioneller Kraftwerke diskutiert. Der erwartete Anstieg des Stromverbrauchs und geopolitische Unsicherheiten können kurzfristige Markteingriffe notwendig machen. Daher kommt es auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit an.
Anforderungen an einen Kapazitätsmechanismus
Ein Kapazitätsmechanismus muss mehrere Anforderungen erfüllen. Dabei geht es nicht nur um die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, sondern auch um Umweltaspekte und die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien. Das sind die wichtigsten Anforderungen:
- Systemseitige Anforderungen: Hier kommt es auf die Sicherstellung einer zuverlässigen Versorgung sowie anlagenspezifische, ortsgerechte und zeitgerechte Investitionsanreize an.
- Erzeugerseitige Anforderungen: Es geht um langfristige Planungssicherheit, Vollkostendeckung und Flexibilisierung des Konventionellen Kraftwerksparks.
- Nachfrageseitige Anforderungen: Zu den nachfrageseitigen Anforderungen gehören die Berücksichtigung von Verbraucherinteressen, die Reduktion von Markteintrittsbarrieren und die Erhöhung der Nachfrageflexibilität.
- Wirtschaftspolitische Anforderungen: Einen hohen Stellenwert haben die wirtschaftspolitischen Anforderungen, bei denen es um Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, keine unangemessenen Verteilungseffekte, den Erhalt der Wettbewerbsintensität auf Spot- und Regionalleitungsmärkten, die Vermeidung von Regulierungsrisiken, die Begrenzung von Marktmacht, die internationale Einbettung und die Eignung für das dezentrale Marktsystem geht.
- Umweltseitige Anforderungen: Es kommt auf Umweltverträglichkeit, Klimaschutz und den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien an.

Dabei geht es nicht nur um die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, sondern auch um Umweltaspekte und die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien | Foto: ©VRD #33185275 – stock.adobe.com
Erhöhung der Funktionssicherheit des Energy-Only-Marktes durch absehbare Entwicklungen
Auf der Nachfrageseite erhöht sich die Flexibilität, was in der Ausweitung von Lastmanagement-Maßnahmen begründet sein kann. Bereits in der Studie von 2012 wurden mehr als 30 Gigawatt des Verbrauchs durch Smart Grids, Smart Meter und Elektroautos angesetzt. Am Spot- und Regelleistungsmarkt sind Großverbraucher aktiv.
Angebotsseitig nimmt die Direktvermarktung für erneuerbare Energien zu.
Bei stärkeren Knappheiten steigt die Attraktivität für die Erschließung von zusätzlichen Kapazitäten. So könnten beispielsweise Notstromaggregate am Markt aktiviert werden. Der Bedarf an konventioneller Erzeugungskapazität verringert sich, während die Marktmechanismen des Energy-Only-Marktes gestärkt werden.
Absicherung für Extremsituationen mit der strategischen Reserve
Mit einer strategischen Reserve können kurzfristige Marktungleichgewichte aufgrund von Extremsituationen abgesichert werden, um die nationale Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Bei Bedarf kann die strategische Reserve mit neuen Gasturbinenkraftwerken oder einem weiteren Betrieb von Gas- und Kohlenreserven aufgebaut werden, die zur Stilllegung vorgesehen sind. Solche Kraftwerke würden nur bei Kapazitätsdefiziten genutzt werden und nicht am Strommarkt teilnehmen. Über eine Umlage können diese Kraftwerke finanziert werden. In der Effizienz bleibt der Strommarkt unbeeinflusst.
Eine strategische Reserve erlaubt marktgetriebene Reaktionen auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen. Die Regulierungsrisiken sind vergleichsweise gering.

Mit einer strategischen Reserve können kurzfristige Marktungleichgewichte aufgrund von Extremsituationen abgesichert werden, um die nationale Versorgungssicherheit zu gewährleisten | Foto: ©stasworld #99899148 – stock.adobe.com
Probleme bei der Umsetzung von Versorgungssicherheitsverträgen
Mit einem Versorgungssicherheitsvertrag kann die Versorgungssicherheit beim Versagen des Energy-Only-Marktes gewährleistet werden. Neben dem bestehenden Strommarkt wird ein neuer Markt für Kraftwerkskapazitäten geschaffen. Die Erlöse für Bau und Betrieb von Kraftwerken werden damit erhöht. Kraftwerksbetreiber würden zusätzlich zum Energy-Only-Markt für die Bereitstellung einer gesicherten Leistung Erlöse erhalten. Die Kosten für einen Kapazitätsmarkt müssten an die Verbraucher weitergegeben werden. Ein komplexer Kapazitätsmarkt ist mit Regulierungsrisiken und einer langen Vorlaufzeit verbunden.
Um zeitnahe Herausforderungen zu überbrücken, eignet sich ein solcher Ansatz nicht. Die Ausgestaltung muss möglichst viele Optionen erlauben. Die Effizienz ist abhängig von den Details der Umsetzung. Mindest- und Höchstpreise auf den betroffenen Märkten können zu erheblichen Verteilungsrisiken und Ineffizienzen führen. Die Effizienz wird auch durch die Nachfrageseite beeinflusst.
Die langfristige Planungssicherheit für Neukraftwerke ist eine Herausforderung, genau wie die kurzfristige Planbarkeit von Lastmanagementpotenzialen. Bei der Umsetzung muss auf Effizienz geachtet werden. Sie hat Priorität vor den Verteilungsaspekten.
Strategische Reserve im Vergleich zu Versorgungssicherheitsverträgen
Ein funktionierender Energy-Only-Markt ist theoretisch eine effiziente Lösung. Eine strategische Reserve hat systematisch geringe Effizienzverluste aufgrund der Kraftwerksleistung, doch bestehen auch Risiken hinsichtlich der Effizienz. Versorgungssicherungsverträge sind durch erhebliche Effizienzrisiken gekennzeichnet, was in den Wirkungszusammenhängen bei der Ausgestaltung begründet ist.
Ein funktionierender Energy-Only-Markt deutet bei nationaler und bei europäischer Sichtweise auf die Versorgungssicherheit darauf hin, dass die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten für Versorgungssicherheitsverträge höher sind als für die strategische Reserve.
Ein System mit mehr Erzeugungskapazitäten ist erforderlich, was mit höheren Kosten verbunden ist. Auch für die Endkunden könnte eine strategische Reserve günstiger als ein Versorgungssicherungsvertrag sein, da die Kapazitätszahlungen von den Verbrauchern mitgetragen werden müssten. Die Kapazitätszahlungen müssten zusätzlich zu den Großhandelspreisen der Strommärkte an die Verbraucher weitergegeben werden.
Eine wichtige Rolle spielt auch die Umweltverträglichkeit. Der Mechanismus sollte die langfristigen klimapolitischen Ziele und die Energieziele unterstützen. Die Integration erneuerbarer Energien muss erleichtert werden.
Kapazitätsmarkt als weitere Ausgestaltungsmöglichkeit für einen Kapazitätsmechanismus
Um die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland langfristig zu gewährleisten, ist ein Kapazitätsmarkt ein wichtiger Aspekt für die Ausgestaltung eines Kapazitätsmechanismus. Das Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Dieses Ziel kann nur mit einer vollständigen Dekarbonisierung des deutschen Stromsektors bis spätestens zum Ende der 2030er Jahre gewährleistet werden. Der Ausstieg aus der Kohle- und Erdgasversorgung ist dazu ebenso erforderlich wie der Ausbau der erneuerbaren Energien. In erster Linie geht es dabei um Solar- und Windenergie. Die zunehmende Elektrifizierung führt zu einem starken Anstieg des Strombedarfs.
In Verbindung mit dem bereits erfolgten Ausstieg aus der Kernenergie führen beide Entwicklungen bis 2030 zu einer Lücke an steuerbarer Kraftwerkskapazität von 17 bis 21 Gigawatt. Bis 2045/50 könnte sie auf bis zu 88 Gigawatt ansteigen.
Der bestehende Energy-Only-Markt bietet keine ausreichenden Anreize für Investitionen in perspektivisch emissionsfreie, sicher verfügbare und steuerbare Kraftwerke. In wind- und sonnenarmen Stunden kommt es zu Preisspitzen, die zu einer Refinanzierung von Back-up-Kapazitäten beitragen können. Es ist nicht sicher, ob die Vollkosten von neuen Kraftwerken gedeckt werden können. Die Höhe, die Häufigkeit und die politische Akzeptanz von Preisspitzen ist unklar. Für potenzielle Investoren besteht das Risiko, dass die Investition in Back-up-Kapazität keine kalkulierbare Rendite bietet. Ein geeignetes Strommarktdesign ist notwendig, um steuerbare und wenigstens perspektivisch klimaneutrale Kapazitäten bereitzustellen. Nach der schrittweisen Stilllegung von Kohlekraftwerken muss im System genug Energie verfügbar bleiben.
Da die prognostizierte Kapazitätslücke bis 2030 immens ist, kommt es auf eine zielgerichtete und einfache Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes an. Das ist erreichbar, wenn der deutsche Kapazitätsmarkt auf den internationalen Erfahrungen von etablierten Kapazitätsmärkten aufbaut. Um die Investition in Neuanlagen anzuregen, sollte der Kapazitätsmarkt zentral organisiert sein. Er sollte umfassend und technologieoffen ausgestaltet sein. Die Einhaltung von Klimazielen kann gewährleistet werden, wenn der Kapazitätsmarkt mit der EU-Taxonomie im Einklang steht.