
Rechtliche Bewertung von Nanotechnologien | Foto: ©Corona Borealis #1114080643 – stock.adobe.com
Nanomaterialien sind bereits in vielen Produkten für den alltäglichen Bedarf enthalten, beispielsweise in Kosmetika, Autozubehör, Textilien und sogar in Lebensmitteln. Für viele Nanomaterialien liegen bislang kaum verlässliche Daten zur Bewertung der möglichen Risiken vor. Die Aufgabe der Chemikaliengesetzgebung besteht darin, diese Lücke zu schließen. Allerdings enthalten die meisten Gesetze zur Regulierung von Chemikalien und Produkten bisher nur eingeschränkte Vorgaben für den Umgang mit Nanomaterialien. Der BUND hat gemeinsam mit dem Center for International Environment Law (CIEL) und ClientEarth, einer Anwaltsorganisation, einen Vorschlag zur Regulierung von Nanomaterialien unterbreitet. Der Vorschlag sieht eine horizontale EU-Verordnung sowie konkrete Anpassungen einzelner EU-Verordnungen vor. Das betrifft insbesondere die europäische Chemikalienverordnung REACH.
Was sind Nanomaterialien?
Als Nanotechnologien werden Technologien bezeichnet, die sich mit winzig kleinen Partikeln beschäftigen, die kleiner als 100 Nanometer sind. Eine Definitionsempfehlung für Nanomaterialien wurde von der Europäischen Kommission erstmals im Jahr 2011 veröffentlicht. Die unter 2011/696/EU veröffentlichte Definition wurde im Jahr 2022 mit 2022/C 229/01 aktualisiert. Nanomaterialien bestehen im festen Zustand aus Partikeln, die eigenständig oder als Bestandteile von Agglomeraten oder Aggregaten auftreten. Gemäß der Definition müssen mindestens 50 Prozent dieser Partikel wenigstens eine der folgenden Bedingungen erfüllen:
- ein oder mehrere Außenmaße der Partikel haben die Größenordnung von einem bis 100 Nanometern • die Partikel haben eine längliche Form als Stab, Röhre oder Faser und zwei Außenmaße sind kleiner als 1 Nanometer, das andere Außenmaß kann größer als 100 Nanometer sein
- die Partikel sind plättchenförmig, mit einem Außenmaß von weniger als 1 Nanometer und weiteren Außenmaßen von mehr als 100 Nanometern
Die Empfehlung der EU-Kommission soll als Grundlage für die Definition von Nanotechnologien in verschiedenen Rechtsbereichen dienen. In einzelnen Rechtsbereichen können Änderungen oder Abweichungen festgelegt werden.
Verschiedene Materialien können aus dem Anwendungsbereich von spezifischen Rechtsvorschriften ausgenommen werden, auch wenn sie zu den Nanotechnologien gehören.
Im Rahmen spezifischer Rechtsvorschriften können auch rechtliche Anforderungen für Materialien ausgearbeitet werden, die nicht der Definition laut EU-Empfehlung entsprechen.

Als Nanotechnologien werden Technologien bezeichnet, die sich mit winzig kleinen Partikeln beschäftigen, die kleiner als 100 Nanometer sind | Foto: ©Quality Stock Arts #223200906 – stock.adobe.com
Gesundheitliche Risiken von Nanotechnologien
Gesundheitliche Risiken können bei Produkten mit Nanotechnologien bestehen, in denen Nanomaterialien in ungebundener Form enthalten sind oder leicht freigesetzt werden. Aufgrund ihrer außerordentlich geringen Größe weisen Nanomaterialien veränderte oder neuartige Eigenschaften in ihren Funktionen auf. Die sich daraus ergebenden Verdachtsmomente sollten bei einer Risikoanalyse überprüft werden.
Solche Verdachtsmomente sind:
- Reaktionsfreudigkeit: Aufgrund der großen spezifischen Oberfläche beim Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis weisen Nanomaterialien eine größere Reaktionsfähigkeit auf. Das Risiko für entzündliche Reaktionen im menschlichen Körper ist höher. Bei längerer Dauer kann es zu Organschädigungen kommen.
- Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung: Aufgrund ihrer geringen Größe können Nanomaterialien Körperbarrieren leichter überwinden und sich im Körper anders verteilen als andere Materialien.
- Beständigkeit im Körper: Bei einigen Nanomaterialien ist die Verweildauer in einzelnen Organen außerordentlich lange. Die Nanopartikel reichern sich im Zeitverlauf an, sodass es aufgrund der Reaktionsfähigkeit zu gesundheitlichen Schäden kommen kann.
Herausforderungen bei der gesundheitlichen Risikobewertung von Nanotechnologien
Herausforderungen bestehen bei der gesundheitlichen Risikobewertung von Nanotechnologien darin, dass jedes Nanomaterial separat geprüft werden muss. Jede Anwendung ist individuell zu betrachten. Mögliche Gesundheitsgefahren und die tatsächliche Belastung müssen untersucht werden.
Zu den Herausforderungen bei der Risikobewertung gehören:
- Physikochemische Charakterisierung: Aufgrund der partikulären Natur der Nanomaterialien müssen im Rahmen der physikochemischen Charakterisierung viele Parameter berücksichtigt werden. Eine Charakterisierung muss in verschiedenen biologisch relevanten Umgebungen durchgeführt werden. Einige physikochemische Eigenschaften ändern sich umgebungsabhängig.
- Expositionsdaten: Häufig fehlen verlässliche Daten zur Exposition der Verbraucher.
- Prüfrichtlinien und Leitfäden: Die Prüfrichtlinien und Leitfäden der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für die gesundheitliche Bewertung von Nanotechnologien wurden noch nicht komplett angepasst.
- Bewertungskonzepte und Screeningverfahren: Die Entwicklung neuer Bewertungskonzepte und verlässlicher Screeningverfahren sind aufgrund der großen Variantenvielfalt von Bedeutung.

Herausforderungen bestehen bei der gesundheitlichen Risikobewertung von Nanotechnologien darin, dass jedes Nanomaterial separat geprüft werden muss | Foto: ©nevodka.com #323676908 – stock.adobe.com
Nanotechnologien im Europäischen Chemikalienrecht (REACH)
Für einige Nanotechnologien liegen bereits rechtliche Bewertungen und verschiedene Verordnungen vor. Die REACH-Verordnung ist die Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe und wurde im europäischen Chemikalienrecht bereits zweimal angepasst. Die revidierten Anhänge der Verordnung traten am 1. Januar 2020 in Kraft und definieren Nanoformen eines Stoffes. In diesen Anhängen wurde festgelegt, welche Informationen Hersteller und Importeure in Form von Dossiers zu Nanoformen für die Registrierung vorlegen müssen. In den nanospezifischen Informationsanforderungen müssen Angaben zur Substanzidentität und zur physikochemischen Charakterisierung enthalten sein.
In der Verordnung wurden die Anforderungen für die Erstellung von Sicherheitsdatenblättern angepasst.
Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben für Nanomaterialien wird durch die Europäische Chemikalienagentur ECHA unterstützt. Die ECHA überprüft Dossier-Inhalte im Rahmen von Dossier-Bewertungen auf die Einhaltung der Vorgaben. Mitgliedsstaaten können zusammen mit der ECHA für ausgewählte Stoffe, bei denen Verdachtsmomente entstehen, Stoffbewertungsverfahren durchführen.
Gesetzliche Regelungen zu Nanomaterialien in Kosmetika
Für Kosmetika gilt die EU-Kosmetikverordnung (EG) Nr. 1223/2009. Sie berücksichtigt explizit Nanomaterialien. Artikel 16 der EU-Verordnung schreibt vor, dass Kosmetika, in denen Nanomaterialien enthalten sind, seit dem 11. Januar 2013 der EU-Kommission gemeldet werden müssen. Sie müssen sechs Monate, bevor sie auf den Markt gebracht werden, auf elektronischem Weg notifiziert werden. Über das Nanomaterial müssen umfassende Informationen vorliegen. Diese Informationen betreffen die chemischen und physikalischen Eigenschaften, die vorhersehbaren Expositionsbedingungen, die Schätzung der in Verkehr gebrachten Mengen, das toxikologische Profil und die Sicherheitsdaten.
Bestehen Bedenken der EU-Kommission hinsichtlich der Sicherheit eines notifizierten Nanomaterials, muss der Wissenschaftliche Ausschuss Verbrauchersicherheit (SCCS) innerhalb von sechs Monaten eine Stellungnahme abgeben. Verschiedene kosmetische Inhaltsstoffe wie Konservierungsmittel, UV-Filter und Farbstoffe können nur dann in Kosmetikprodukten verwendet werden, wenn eine Bewertung durch den SCCS erfolgt ist und sie durch die EU-Kommission in die Anhänge der Kosmetikverordnung aufgenommen wurden. Sind Nanomaterialien in kosmetischen Mitteln enthalten, muss im Verzeichnis der Inhaltsstoffe eine entsprechende Angabe vorhanden sein. Für alle Nanomaterialien in Kosmetikprodukten gilt eine solche Kennzeichnungspflicht.

Für Kosmetika gilt die EU-Kosmetikverordnung (EG) Nr. 1223/2009. Sie berücksichtigt explizit Nanomaterialien | Foto: ©Marina Red #587494166 – stock.adobe.com
Gesetzliche Regelungen zu Nanomaterialien in Lebensmittelverpackungen
Als gesetzliche Regelung für Lebensmittelverpackungen gilt die Verordnung (EG) Nr. 1935/2004. Sie dient der Regulierung aller Materialien und Gegenstände, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen. Sie enthält keine nanospezifischen Anforderungen und definiert den Begriff Nanomaterial nicht. Die Verordnung legt jedoch fest, dass alle Materialien und Gegenstände, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, keine Bestandteile in für den Menschen gesundheitlich bedenklichen Mengen abgeben dürfen.
Die Verordnung (EU) Nr. 10/2011 betrifft Kunststoffe mit Lebensmittelkontakt. Nanomaterialien sind auch darin nicht definiert. In Artikel 9 ist festgelegt, dass Substanzen in Nanoform nur nach einer expliziten Bewertung und Aufnahme in Anhang I der Verordnung verwendet werden dürfen.
Für die wissenschaftliche Bewertung ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuständig.
Der EFSA-Leitfaden zur Bewertung von Nanomaterialien in der Lebensmittel- und Futterkette ist die Grundlage für die Risikobewertung von Nanomaterialien. Nanomaterialien für den Einsatz in Kunststoffen wurden bereits von der EFSA bewertet und aufgrund der positiven Evaluierung von der EU-Kommission zugelassen. Als Nanomaterialien sind Zinkoxid, Titannitrid, Ruß, Siliziumdioxid und Nanoton zugelassen.
Gesetzliche Regelungen zu Nanotechnologien in Lebensmitteln
Die Verordnung (EU) 2015/2283 gilt für neuartige Lebensmittel. Alle Lebensmittel auf der Basis von Nanotechnologien oder mit Nanomaterialien als Bestandteile gelten als neuartig. Sie müssen durch die EFSA bewertet und von der EU-Kommission zugelassen werden. Der EFSA-Leitfaden zur Bewertung von Nanomaterialien in der Lebensmittel- und Futterkette ist die Grundlage für die Risikobewertung. Bislang ist Eisenhydroxid-Adipat-Tartrat (IHAT) in Nanoform das einzige im Rahmen der Verordnung gezielt hergestellt und zum Einsatz in Lebensmitteln zugelassene Nanomaterial. Es ist als Nahrungsergänzungsmittel zur Versorgung mit Eisen zugelassen.
Die Lebensmittelinformationsverordnung (EU) Nr. 1169/2011 gilt seit 2014 und schreibt vor, dass alle Zutaten in Form technisch hergestellter Nanomaterialien in Lebensmitteln gekennzeichnet werden müssen. Sie sind im Zutatenverzeichnis eindeutig aufzuführen und mit dem Wort „Nano“ in Klammern zu kennzeichnen.

Alle Lebensmittel auf der Basis von Nanotechnologien oder mit Nanomaterialien als Bestandteile gelten als neuartig | Foto: ©ARMMY PICCA #1386894328 – stock.adobe.com
Gesetzliche Regelungen zu Nanotechnologien in Textilien
Bekleidungstextilien, Bettwaren und verschiedene andere Textilien gelten als Bedarfsgegenstände und unterliegen den Bestimmungen des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs. Es gibt in diesem Bereich keine spezifische gesetzliche Regulierung für Nanomaterialen. Die Biozidverordnung (EU) Nr. 528/2012 regelt seit 2013 die Ausstattung von Textilien mit Bioziden.
Eine Regulierung ist bislang für die Ausstattung von Textilien mit Kohlenstoff-Nanoröhrchen für eine stärkere Belastung der Fasern oder mit Titandioxid als UV-Schutz nicht vorgesehen. Die Hersteller müssen jedoch die Sicherheit ihrer Produkte garantieren.
Gesetzliche Regulierung zu Nanotechnologien in Bioziden
Die EU-Biozidverordnung (EU) Nr. 528/2012 gilt im Bereich der Biozide und enthält eine Definition zu Nanomaterialien. Sie sieht ein zweistufiges Verfahren vor. In einem europäischen Bewertungsverfahren wird über die Genehmigung von Biozidwirkstoffen entschieden. Die genehmigten Biozidwirkstoffe werden in einer Positivliste erfasst. Die Genehmigung umfasst jedoch nicht die Nanoformen eines Wirkstoffs. Ein Wirkstoff in Nanoform muss separat bewertet und zugelassen werden. Er ist ausdrücklich als Nanoform zu benennen. Die einzelnen Biozidprodukte mit diesem Wirkstoff müssen im zweiten Schritt durch die Mitgliedstaaten oder die Europäische Chemikalienagentur ECHA zugelassen werden.
Für die zugelassenen Produkte führt die ECHA ein Register.
Synthetisches amorphes Siliziumdioxid ist ein zugelassener nanoskaliger Biozidwirkstoff. Bislang wurden nur wenige solcher nanoskaligen Biozidwirkstoffe bewertet. Die EU-Biozidverordnung schreibt vor, dass auf dem Etikett der Biozidprodukte die enthaltenen Nanomaterialien mit der Angabe „Nano“ angegeben sein müssen.
Forderungen des BUND
Der BUND fordert noch weitere Gesetze oder Anpassungen von Gesetzen bei Nanotechnologien und Nanomaterialien. Er fordert:
- Übernahme der von der EU-Kommission schon 2011 vorgeschlagenen Definitionen von Nanomaterialien in alle relevanten Gesetze
- Kennzeichnung von Nanomaterialien im Verzeichnis der Inhaltsstoffe auf Produkten
- Meldepflicht für alle Nanomaterialien und -produkte und Aufnahme in ein EU-weites Nano-Register
- Monitoringprogramm zur Bewertung der Belastung von Arbeitnehmern mit Nanomaterialien
- Schließung der im REACH vorhandenen Lücken für Nanomaterialien