
Treibhausgaskompensation - Chancen und Risiken | Foto: ©Simon #156095781 – stock.adobe.com
Klimaneutral per Mausklick – klingt gut, ist aber oft trügerisch. Der weltweite Handel mit CO₂-Zertifikaten boomt, doch viele Kompensationsprojekte halten nicht, was sie versprechen. Was als Beitrag zum Klimaschutz gedacht ist, droht zum modernen Ablasshandel zu werden. Wie sinnvoll ist Treibhausgaskompensation wirklich – und wo beginnt das Greenwashing?
Ein guter Deal für das Gewissen
Fliegen, Autofahren, Fleisch essen – der moderne Lebensstil ist ein Klimakiller. Wer sich dennoch ein gutes Gewissen bewahren will, kann bezahlen: für Klimazertifikate, für Bäume, für Windräder in Entwicklungsländern. „Klimaneutral“ nennen sich inzwischen Unternehmen, Konferenzen, Produktverpackungen. Das klingt nach Verantwortung, nach einem ernst gemeinten Beitrag zur Rettung des Planeten. Doch wie real ist diese Neutralität? Und: Funktioniert das überhaupt?
Die Idee ist simpel. Wer Emissionen verursacht, gleicht sie durch Investitionen in Projekte aus, die CO₂ binden oder erst gar nicht entstehen lassen.
Anbieter wie Atmosfair, Myclimate oder ClimatePartner haben daraus ein Geschäftsmodell gemacht, das boomt. Der Markt wächst, das Vertrauen sinkt.

Fliegen, Autofahren, Fleisch essen – der moderne Lebensstil ist ein Klimakiller | Foto: ©06photo #70330670 – stock.adobe.com
Ein Markt voller Versprechen
Die Anbieter versichern, dass jeder Cent in geprüfte Projekte fließt, etwa in den Bau von Biogasanlagen in Indien, den Schutz des Regenwaldes in Peru oder das Pflanzen von Bäumen in Uganda. Die Emissionen sollen damit rechnerisch „ausgeglichen“ sein. Der Knackpunkt: Niemand kann garantieren, dass diese Projekte tatsächlich dauerhaft den Effekt haben, den sie versprechen.
Vor allem bei Waldprojekten sind die Zweifel groß. Studien belegen, dass viele angeblich geschützte Gebiete nie wirklich von Abholzung bedroht waren. In anderen Fällen werden Aufforstungsprojekte zwar realisiert, aber nach wenigen Jahren durch Feuer, Dürre oder menschlichen Eingriff wieder zerstört. Das CO₂, das die Bäume gespeichert hatten, wird dann einfach wieder freigesetzt – das Zertifikat bleibt trotzdem gültig.
Das Kernproblem der Branche ist die sogenannte Zusätzlichkeit. Nur wenn ein Projekt ohne die Kompensationszahlung nicht stattgefunden hätte, ist es als Kompensation gültig. Doch wie lässt sich das im Nachhinein überprüfen? Und wer kontrolliert, ob die behaupteten Einsparungen nicht doppelt gezählt werden – einmal für den Käufer des Zertifikats, einmal für die Statistik eines Entwicklungslandes?

Die Anbieter versichern, dass jeder Cent in geprüfte Projekte fließt, etwa in den Bau von Biogasanlagen in Indien, den Schutz des Regenwaldes in Peru oder das Pflanzen von Bäumen in Uganda | Foto: ©Silga #685828592 – stock.adobe.com
Das Label „klimaneutral“ als Verkaufsargument
Trotz dieser Unsicherheiten werben immer mehr Unternehmen mit ihrer angeblichen Klimaneutralität. Fast-Food-Ketten, Modefirmen, Reiseveranstalter – sie alle kaufen Emissionsgutschriften und nutzen das Label, um ihre Produkte aufzuwerten. Für den Konsumenten entsteht der Eindruck, man könne „grün“ konsumieren, ohne das Verhalten zu ändern. Doch genau das ist das Risiko.
Klimawissenschaftler warnen seit Jahren davor, dass Kompensation zur Ausrede wird.
„Wenn ein Unternehmen weiterhin Kohlekraft nutzt, aber gleichzeitig Klimazertifikate kauft, ist das Augenwischerei“, sagt die Umweltökonomin Barbara Lenz. Besonders problematisch ist das, wenn die Kompensation dort erfolgt, wo Kontrolle und Transparenz nur schwer möglich sind – etwa in Ländern mit instabilen politischen Verhältnissen oder mangelnder Umweltgesetzgebung.
Inzwischen geraten auch die Anbieter unter Druck. Nach Enthüllungen über fragwürdige Projekte haben mehrere große Konzerne ihre Partnerschaften still und leise beendet. Der Schaden am Image ist trotzdem da und das Vertrauen in den gesamten Kompensationsmechanismus leidet.
Politisch gewollt – aber schlecht reguliert
Was auf dem freien Markt boomt, findet auch in der internationalen Klimapolitik seinen Platz. Das Pariser Klimaabkommen sieht ausdrücklich vor, dass Länder Emissionen auch durch internationale Ausgleichsmaßnahmen erreichen können. Der Artikel 6 des Abkommens erlaubt den Handel mit Emissionsrechten: Ein globaler Kompensationsmarkt entsteht.
Doch auch hier fehlt es bislang an klaren Spielregeln. Während einige Länder ihre Zertifikate streng regulieren, herrscht andernorts ein Klima des Wildwuchses. Immer wieder werden Projekte registriert, die nicht den gängigen Standards entsprechen – oder sogar klimaschädlich sind. Einmal ausgestellt, lassen sich diese Zertifikate nur schwer aus dem System entfernen.
Die EU will gegensteuern. Ab 2026 sollen strengere Regeln für Unternehmen gelten, die sich als klimaneutral bezeichnen. Auch das sogenannte „Greenwashing“ soll stärker verfolgt werden. Doch Kritiker zweifeln daran, ob sich damit das Grundproblem lösen lässt: die Verlagerung von Verantwortung gegen Geld.

Das Pariser Klimaabkommen sieht ausdrücklich vor, dass Länder Emissionen auch durch internationale Ausgleichsmaßnahmen erreichen können | Foto: ©acinquantadue #104393384 – stock.adobe.com
Kompensation als letztes Mittel – nicht als erste Wahl
Dabei könnte die Idee der Kompensation durchaus sinnvoll sein – wenn sie als Ergänzung verstanden würde, nicht als Ersatz. Bei Emissionen, die sich technisch nicht vermeiden lassen – etwa in der Zementproduktion oder in der Landwirtschaft – ist Kompensation besser als nichts zu tun.
Doch die Reihenfolge ist entscheidend: Erst vermeiden, dann reduzieren, zuletzt kompensieren. In der Praxis wird dieser Dreiklang häufig umgekehrt.
Ein Beispiel: Wer eine Fernreise mit dem Flugzeug plant, hat oft kaum eine realistische Alternative. In solchen Fällen kann es sinnvoll sein, den CO₂-Ausstoß durch ein Projekt auszugleichen – vorausgesetzt, das Projekt ist seriös, dauerhaft und tatsächlich zusätzlich. Doch wer jedes Jahr zehnmal fliegt und dabei regelmäßig kompensiert, trägt nicht zur Lösung des Problems bei.
Klimaschutz braucht mehr als Geld
Die Diskussion um Treibhausgaskompensation offenbart ein größeres Problem: Viele Maßnahmen gegen den Klimawandel zielen eher auf symbolische Wirkung als auf messbare Erfolge. Sie beruhen auf Vertrauen, auf komplexen Berechnungen, auf freiwilligen Standards – aber sie verändern selten die Strukturen, die das Problem verursachen.
Solange sich mit ein paar Klicks ein klimaneutrales Leben simulieren lässt, besteht wenig Anreiz zur Veränderung. Dabei wäre genau das nötig: weniger Flüge, weniger Fleisch, weniger Konsum insgesamt. Klimaschutz kostet nicht nur Geld, sondern auch Bequemlichkeit. Daran ändert kein Zertifikat etwas.
Wer Kompensation ernst meint, muss sie in einen größeren Kontext stellen. Sie kann ein Beitrag sein, wenn sie transparent, nachvollziehbar und ehrlich ist. Aber sie darf nicht zum Ersatz für echte Klimapolitik werden. Sonst bleibt vom großen Versprechen der Klimaneutralität nicht viel mehr übrig, als nur ein gutes Gefühl.