
Wohlfahrtsmessung in Deutschland | Foto: ©N F/peopleimages.com #660841160 – stock.adobe.com
Bei der Wohlfahrtsmessung geht es darum, neben den ökonomischen Dimensionen auch die ökologischen und sozialen Aspekte zu berücksichtigen. Das Bruttoinlandsprodukt wird durch traditionelle wirtschaftspolitische Kennziffern ergänzt. Im Jahreswirtschaftsbericht 2022 ist dafür erstmals ein eigenes Kapitel enthalten. Die Aspekte von Wirtschaft und Wohlfahrt werden mit mehr als 30 Indikatoren abgebildet.
Wie kann Wohlfahrt gemessen werden?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat erstmals 2022 in seinen Jahresbericht ein eigenes Kapitel für die Wohlfahrtsmessung aufgenommen. In einer Konsultation wurde über die Wohlfahrtsmessung in Deutschland diskutiert. Neben wirtschaftspolitischen Kennziffern wie dem Bruttoinlandsprodukt werden weitere Indikatoren herangezogen, die über Wohlfahrt und Nachhaltigkeit in Deutschland informieren. Sie sind für die Gesamtschau der Wirtschafts- und Finanzpolitik von Bedeutung.
Seitdem der Jahresbericht 2022 veröffentlicht wurde, wird die Wohlfahrtsindikatorik kontinuierlich geprüft und verbessert. Um die Wohlfahrt zu messen, werden Impulse aus einem Beteiligungsprozess aufgegriffen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat dazu eine öffentliche Online-Konsultation mit interessierten Bürgern durchgeführt, die über sechs Wochen angelegt war. Die insgesamt 2.732 Teilnehmer mussten zwölf Fragen beantworten.
Die Ergebnisse sind jedoch nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung Deutschlands, da es sich um eine Online-Umfrage handelte, an der Interessierte teilnehmen konnten.
Die Teilnehmer an der Umfrage mussten ihre Namen und die E-Mail-Adresse angeben. Geschlecht und Alter wurden nicht abgefragt. Die zur Online-Umfrage gehörenden Fragen wurden nicht von allen Teilnehmern komplett beantwortet. Die Ergebnisse für die Wohlfahrt in Deutschland beziehen sich auf die Teilnehmer, die jeweils die Einzelfragen beantwortet haben.

Neben wirtschaftspolitischen Kennziffern wie dem Bruttoinlandsprodukt werden weitere Indikatoren herangezogen, die über Wohlfahrt und Nachhaltigkeit in Deutschland informieren | Foto: ©POV Studio #1275265056 – stock.adobe.com
Warum ist die Wohlfahrtsmessung wichtig?
Eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts bedeutet nicht automatisch eine Erhöhung der Lebensqualität der Bürger und des Gemeinwohls. Relevant sind die Verteilungseffekte und die Nachhaltigkeit des Wachstums. Wohlfahrt ist gegeben, wenn die Zuwächse beim Einkommen sozial gerecht verteilt sind und alle Menschen erreichen, die in Deutschland leben. Wohlfahrt bedeutet auch, dass alle Menschen Bildungschancen haben und dass die Bildungschancen für sozial benachteiligte Menschen verbessert werden. Die Teilhabe der Menschen muss erhöht werden. Zur Wohlfahrt gehört auch, dass die Innovationskraft dauerhaft gesichert ist. Nur so ist gewährleistet, dass der Lebensstandard der Menschen ständig verbessert wird.
Klimaneutralität und menschliches Wirtschaften in ökologischen Grenzen gehören ebenfalls zur Wohlfahrt. Es kommt auf Nachhaltigkeit an, da die natürlichen Lebensgrundlagen auch für die kommenden Generationen erhalten bleiben müssen.
Das Kapitel zur Wohlfahrtsmessung in Deutschland im Jahreswirtschaftsbericht ist ein Ansatz zur Messung der Wohlfahrt, der von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Bundesministerien erarbeitet wurde.
Ein wichtiges Merkmal ist die kontinuierliche Überprüfung und Verbesserung. Um die Wohlfahrt zu messen, kommt es darauf an, von interessierten Akteuren ein breites Spektrum an Meinungen zu sammeln.
Wichtige Indikatoren zur Wohlfahrtsmessung in Deutschland
Im Jahreswirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums von 2023 sind Indikatoren aus verschiedenen Bereichen für die Wohlfahrtsmessung enthalten:
Zum Bereich wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Grundbedürfnisse gehören die folgenden Indikatoren:
- Bruttonationaleinkommen je Einwohner
- Erwerbstätigenquote
- Reallohnentwicklung
- Arbeitsproduktivität
- Entwicklung des Angebots an Ausbildungsplätzen und der Nachfrage danach
- Akademisch Qualifizierte oder beruflich Höherqualifizierte im Alter von 30 bis 34 Jahren
- Vorzeitige Sterblichkeit
- Erreichbarkeit zentraler Einrichtungen zur Daseinsvorsorge
- Anteil von Personen mit hohen Wohnkosten
Ein weiterer Bereich ist die Zukunftsfähigkeit von Staat und Wirtschaft, der die folgenden Indikatoren umfasst:
- Bruttoanlageinvestitionen
- Innovatorenquote
- Private und öffentliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung
- Breitbandausbau
- Gründungsquote und Anteil innovativer Gründungen
- Welthandelsanteil von forschungsintensiven Waren
- Öffentliche Schuldenquote
- Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit EU-Staatsangehörigkeit oder Staatsangehörigkeit von Drittstaaten
- Kredit-Lücke oder BIP-Lücke
- Abstand zur schuldenstandstabilisierenden Defizitquote
Die soziale Gerechtigkeit und Teilhabe sind ein weiterer Bereich der Wohlfahrtsmessung. Dazu gehören die folgenden Indikatoren:
- Gini-Koeffizient des Einkommens zur Messung der Ungleichverteilung der realen Haushaltseinkommen
- Regionale Einkommensverteilung
- Existenzgründungen von Frauen
- Frauen in Führungspositionen
- Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern
- Frühe Schulabgänger
- Kinder in Ganztagsbetreuung in Tageseinrichtungen
Schließlich kommt es bei der Wohlfahrtsmessung auch auf die ökologischen Grenzen an. Dabei müssen die folgenden Indikatoren berücksichtigt werden:
- Investitionen in Maßnahmen zum Klimaschutz
- Treibhausgasemissionen
- Endenergieproduktivität
- Anteil erneuerbarer Energien am Brutto-Endenergieverbrauch
- Emissionen von Luftschadstoffen
- Gesamtrohstoffproduktivität
- Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche
- Nitratminderung im Grundwasser

Im Jahreswirtschaftsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums von 2023 sind Indikatoren aus verschiedenen Bereichen für die Wohlfahrtsmessung enthalten | Foto: ©Item.io #1534747991 – stock.adobe.com
Bruttoinlandsprodukt und Bruttonationaleinkommen als wichtige Faktoren bei der Wohlfahrtsmessung
Die Wohlfahrtsmessung in Deutschland ist nicht erst seit dem Jahresbericht des Bundeswirtschaftsministeriums von 2022 ein Thema. Das Bundesumweltamt hat bereits 2010 einen Bericht in Auftrag gegeben, bei dem komplementäre Indikatoren zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Bruttonationaleinkommen (BNE) untersucht wurden.
Die Untersuchungen umfassten 21 Teilvariablen.
Um eine Vergleichsmöglichkeit zu schaffen, wurden empirische Ansätze aus verschiedenen Ländern herangezogen. Ein Nationaler Wohlfahrtsindex (NWI) wurde über ein Aggregationsverfahren in den Grundzügen berechnet.
Der Nationale Wohlfahrtsindex als wichtiger Indikator für die Wohlfahrtsmessung
Das Bruttoinlandsprodukt misst die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft, doch spiegelt es nicht die gesellschaftliche Wohlfahrt wider. Es ist eine international vergleichbare statistische Kenngröße. Allein reicht es nicht als Maß für die gesellschaftliche Wohlfahrt aus. Die Verteilung des Einkommens, Hausarbeit und ehrenamtliche Tätigkeiten werden nicht berücksichtigt. Folgekosten durch Umweltschäden und eine Verringerung des Naturkapitals sind nicht enthalten. Tendenziell können sich Defensivausgaben zur Bekämpfung von Drogenkonsum, Kriminalität oder Folgekosten von Naturkatastrophen und Verkehrsunfällen sogar positiv auf das Bruttoinlandsprodukt aus.
Der Nationale Wohlfahrtsindex enthält insgesamt 21 wohlfahrtsstiftende und wohlfahrtsmindernde Aktivitäten. Er zeigt einen anderen Verlauf als das Bruttoinlandsprodukt und schwankt phasenweise. In den letzten Jahren weist der Nationale Wohlfahrtsindex einen Zuwachs auf. Die Kritikpunkte, die im Bruttoinlandsprodukt nicht enthalten sind, werden im Nationalen Wohlfahrtsindex berücksichtigt. Für wohlfahrtssteigernde Kategorien werden Zuschläge, für wohlfahrtsmindernde Faktoren Abschläge vorgenommen. Der Index wird durch eine zunehmende Ungleichverteilung verringert. Negative Kategorien sind Umweltkosten oder Verbrauch von nicht erneuerbaren Ressourcen. Positive Kategorien sind Hausarbeit oder Ehrenamt. Auch in den einzelnen Bundesländern wird der Nationale Wohlfahrtsindex zunehmend genutzt.

Das Bruttoinlandsprodukt misst die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft, doch spiegelt es nicht die gesellschaftliche Wohlfahrt wider | Foto: ©eyegelb #76117541 – stock.adobe.com
Berechnung des Nationalen Wohlfahrtsindex
Der Nationale Wohlfahrtsindex umfasst 21 monetär bewertete Komponenten. Der mit der Einkommensverteilung gewichtete private Konsum ist der größte Posten.
Ausgangsgröße zur Berechnung des Nationalen Wohlfahrtsindex ist der inländische gewichtete private Konsum. Der Nationale Wohlfahrtsindex wird folgendermaßen berechnet:
- Inländischer gewichteter privater Konsum
- + Wert der Hausarbeit
- + Wert der ehrenamtlichen Arbeit
- + öffentliche Ausgaben für Gesundheits- und Bildungswesen
- +/- Kosten und Nutzen von dauerhaften Konsumgütern
- – Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
- – Kosten durch Verkehrsunfälle
- – Kosten durch Kriminalität
- – Kosten durch Drogen-, Alkohol- und Tabakkonsum
- – gesellschaftliche Ausgaben zum Ausgleich von Umweltbelastungen
- – Kosten durch Wasserbelastungen
- – Kosten durch Bodenbelastungen
- – Schäden durch Luftverschmutzung
- – Schäden durch Lärm
- +/- Verlust oder Gewinn durch Biotopflächenänderungen
- +/- Schäden durch Verlust landwirtschaftlich nutzbarer Fläche
- – Ersatzkosten durch Verbrauch von nicht erneuerbaren Energieträgern
- – Schäden durch Treibhausgase
- – Kosten der Nutzung von Atomenergie
Eine erweiterte Variante des Nationalen Wohlfahrtsindex kann bereits berechnet werden. Dazu werden weitere Komponenten wie Änderungen der Kapitalbilanz oder Nettowertänderungen der Kapitalausstattung herangezogen. Auch die Staatsverschuldung, Investitionen in Naturkapital, Ausgaben für ökologische Transformation, Kosten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, Nutzen von Freizeit und Kosten für durch den Menschen verursachte Naturkatastrophen können herangezogen werden.
Entwicklung des Nationalen Wohlfahrtsindex
Seit 1991 zeigt die Entwicklung des Nationalen Wohlfahrtsindex in Deutschland unterschiedliche Phasen. Er zeigte bis 1999 eine kontinuierliche Steigerung parallel zum Bruttoinlandsprodukt. Danach stieg das Bruttoinlandsprodukt weiterhin, während der Nationale Wohlfahrtsindex sank. Die Ursache für diese Entwicklung war die zunehmende Einkommensungleichheit. Der Nationale Wohlfahrtsindex wies von 2005 bis 2013 kaum Schwankungen auf. Er entwickelte sich ab 2014 positiv. Die Ungleichheit stagnierte, verbunden mit steigenden Konsumausgaben und leicht abnehmenden Umweltkosten. Das Jahr der Corona-Pandemie führte dazu, dass sowohl Bruttoinlandsprodukt als auch der Nationale Wohlfahrtsindex abrupt abfielen.
Das Bruttoinlandsprodukt konnte sich 2021 erholen. Die Flutkatastrophe an Ahr und Erft führte zu einem weiteren Abfall des Nationalen Wohlfahrtsindex. Ein starker Anstieg war 2022 aufgrund der steigenden Konsumausgaben, Energieeinsparungen und geringeren Schäden durch Naturkatastrophen zu verzeichnen.
Der Nationale Wohlfahrtsindex stieg auch 2023 an. Ein Grund dafür ist der Rückgang von Umweltbelastungen, insbesondere durch einen Rückgang beim Energieverbrauch und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Leichte Zugewinne gab es auch für den Konsum. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich für 2024 herleiten.